Für viele der Perfektionisten unter uns, die sich anspruchsvollste Standards setzen, gilt etwas, das zunächst paradox erscheint: Derart hohe Erwartungen haben wir meist nur an uns selbst!
Auch die anspruchsvollsten Perfektionisten unter uns sind meist deutlich ausgeglichener, fairer und freundlicher, wenn wir Freunde oder Bekannte beurteilen, als uns selbst. Einer der Gründe liegt darin, dass wir glauben, Selbstkritik sei ein wichtiger Ansporn. Wir denken, dass ohne die harten Worte, die wir an uns selbst richten, keine Verbesserung möglich sei. Interessant ist jedoch, dass wissenschaftliche Studien das Gegenteil belegen. Viel nützlicher ist eine andere Strategie: Selbstmitgefühl.
Selbstmitgefühl üben
Wenn du das nächste Mal einen Fehler machst, einen Vorsatz nicht einhältst oder auf andere Weise den inneren Kritik-Sturm auslöst, nutze diesen kleinen mentalen Trick. Stell dir vor, du hättest jemanden vor dir, der dir nahe steht und dir von genau diesem Fehltritt berichtet. Und reagiere bei dir selbst genauso verständnisvoll und einfühlsam.
Und weil zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass Selbstmitgefühl hilfreich und wichtig ist, wirst du vielleicht bald merken, wie sich kleine Veränderungen in dein Leben einschleichen.
Selbstmitgefühl entwickeln bedeutet mit dir selbst Liebevoller umzugehen
Durch Selbstmitgefühl kannst du dich mit deinen Schwächen versöhnen und dir selbst der beste Freund werden.
Thich Nhat Hanh hat einmal gesagt: „Das größte aller Wunder ist es, lebendig zu sein. Achtsamkeit ermöglicht uns, dieses Wunder zu berühren.“
Widerfährt dir Leid, reagierst du meist mit Widerstand: du bist enttäuscht, schämst dich oder machst dir Vorwürfe. Wie wäre es, wenn du dich stattdessen trösten und ermutigen würdest, so wie du es vielleicht für einen geliebten Menschen tätest. Selbstmitgefühl ist eine mutige innere Haltung, die dir hilft, deinen Gefühlen und Bedürfnissen mit mehr Wohlwollen und Weisheit zu begegnen.
Unser unermüdliches Streben danach, in allen Bereichen überdurchschnittlich gut zu sein, schränkt uns eher ein, als dass es uns voranbringt. Denn wenn wir scheitern oder unseren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden, kehrt sich Selbstbewusstsein rasch um in Selbstkritik. Und wir können uns anstrengen, wie wir wollen, es wird immer jemanden geben, der noch intelligenter, erfolgreicher oder attraktiver ist als wir selbst. Was wirklich stärkt, ist Selbstmitgefühl.
Die Auswirkungen von Selbstmitgefühl sind überzeugend: Selbstmitgefühl schützt vor Burn-out und Depressionen, stärkt die Gesundheit und fördert unsere Beziehungen. Es lässt uns unsere Ziele und Träume optimistischer in die Tat umsetzen. Wir entdecken einen Ort der Wärme und emotionalen Geborgenheit, an dem wir unsere inneren Reserven auffüllen können. Dieser Blog-Beitrag beschäftigt sich einfühlsam mit den Chancen, die uns Selbstmitgefühl bietet. Dies birgt eine große Chance, Freundschaft mit dem wichtigsten Menschen in unserem Leben zu schließen: uns selbst.
Selbstmitgefühl entwickeln – Wie geht das und warum ist das so wichtig für uns.
Wenn du zum erstmal den Begriff Selbstmitgefühl hörst, bist sicher zunächst sehr überrascht und fragst dich, ob es dieses Wort tatsächlich gibt. Die meisten von uns kennen das Wort Selbstmitleid, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Selbstliebe! Das Wort Selbstliebe wird oft im Zusammenhang mit Egoismus und Narzissmus gebracht. Selbstverliebtheit ist in unserer Gesellschaft eher negativ als positiv besetzt.
Die Wörter Mitgefühl und Mitleid sind da schon eher in unserem Sprachgebrauch verankert. Wikipedia sagt, Mitleid sei die Anteilnahme am Schmerz und Leid anderer. Die Idee: Wenn das Leid durch zwei geteilt wird, hat die betroffene Person weniger Last zu tragen. Dabei gibt es allerdings ein Problem, denn wenn du als Freund und Helfer plötzlich ebenfalls leidest, bist du im Mitleid und nicht mehr in der Lage, Unterstützung zu liefern. Um zu verstehen, was mit Selbstmitgefühl gemeint ist, stelle dir einfach vor, wie du mit einem guten Freund oder einer guten Bekannten umgehen würdest. Stell dir vor, diese Person hat einen schwerwiegenden Fehler bei der Arbeit gemacht und kommt niedergeschlagen zu dir zu Besuch. Wie würdest du reagieren? Würdest du diese Person gnadenlos kritisieren und beschimpfen?
Vermutlich würdest du Verständnis zeigen, du würdest versuchen, dich in seine Situation hineinzuversetzen und die Person daran erinnern, dass Fehler menschlich sind. Ratschläge würdest du wahrscheinlich freundschaftlich und vorsichtig anbringen oder vielleicht sogar ganz darauf verzichten. Denn intuitiv wissen die meisten von uns, dass sich nur so Dinge verbessern lassen. Kritik und Strenge vergrößern nur die Angst vor Fehlern in der Zukunft.
So wie viele andere Menschen sicher auch, bringst du deinen Mitmenschen viel Mitgefühl entgegen. Verzeihen können und mit Rücksicht und Nachsicht auf die Mitmenschen zuzugehen, fällt dir wahrscheinlich nicht schwer.
Selbstmitgefühl bedeutet also, genau diesen einfühlsamen Umgang auch mit dir selbst zu pflegen. Gehe mit dir selbst genauso um, wie du deinen besten Freund behandeln würdest. Schenk dir Wärme, Mitgefühl, Respekt und sei nachsichtig mit dir.
Selbstmitgefühl bedeutet also: Freundlich zu sich selbst zu sein, nachsichtig, achtsam und in dem Bewusstsein zu leben, das alle Menschen gute und schlechte Erfahrungen machen. Jeder Mensch erlebt Schmerz im Laufe seines Lebens. Fehler machen ist menschlich. Wir müssen nicht perfekt sein! Sei dir dessen bewusst. Dieses Bewusstsein hilft dir auch dabei, weniger Scham zu empfinden. Denn du denkst sicher oft: „Ich bin sicher der einzige Mensch, dem es so geht …“. Diese Gedanken kommen ganz besonders an schlechten Tagen, bei Stress, wenn du traurig bist oder du Fehler machst und Enttäuschungen erlebst. Du kannst dir immer wieder sagen: „So wie ich bin, bin ich völlig in Ordnung und alles darf sein, denn es gehört zu mir.“
Selbstmitgefühl hilft dir dabei, dich nach einer Niederlage wieder auf die Beine zu stellen. Selbstbewusstsein hilft dir mutig zu sein, dich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Beide Qualitäten unterstützen dich optimal.
Gemischte Gefühle
Nehmen wir ein klassisches Beispiel: Du sitzt in der U-Bahn und beobachtest, wie ein alter Herr das Abteil betritt. Er sieht sehr gebrechlich aus, vielleicht geht er am Stock. Er hat Mühe, den Weg zu einem freien Sitz hinter sich zu bringen und lässt sich nur in Zeitlupe darauf nieder. Er schafft es gerade so, bevor sich die Bahn in Bewegung setzt, die ihn Sekunden vorher aus der Balance gerissen hätte.
Vielleicht gehen dir Gedanken durch den Kopf, wie “Der arme Mann, so ganz alleine unterwegs” oder “Es muss schwer sein im Alter, hoffentlich geht es mir später besser”. Fakt ist, Mitleid fühlt sich nicht gut an. Oft bemitleiden wir Personen, die uns unglücklich oder hilflos erscheinen. Dann leiden wir zwar mit, sind aber gleichzeitig froh, dass es uns besser geht. Mitleid ist also eher eine passive Haltung mit bitterem Beigeschmack. Wir stellen zwar eine emotionale Bindung zur betroffenen Person her, bedauern unser Gegenüber aber gleichzeitig.
Ist Mitleid egoistisch?
Nicht ganz, schließlich versuchen wir, uns in die Situation einer anderen Person hineinzuversetzen. Im Endeffekt geht es aber mehr um uns selbst. Du siehst den erschöpften alten Herren und projizierst dieses Bild auf dich und dein Leben. Natürlich schmerzt die Vorstellung, irgendwann selbst in seiner Lage zu sein. Und dieses Gefühl verursacht Mitleid, denn du stellst dir vor, wie schlecht es dir selbst in seiner Situation gehen würde.
Anders ist es, wenn wir Mitgefühl für jemanden haben. Auch wenn beide Emotionen sehr nah beieinander liegen, gibt es einen entscheidenden Unterschied. Denn fühlst du mit jemandem mit, hast du noch genug emotionalen Abstand, um eine objektive Sichtweise einzunehmen. Dies ist der Schlüssel, um für dein Gegenüber zum Fels in der Brandung zu werden.
Ein Akt der Zuwendung
Egal, ob Mitleid oder Mitgefühl, beides sind emotionale Reaktionen, die teilweise sogar automatisch ablaufen. Schuld daran ist die Fähigkeit unseres Gehirns, Erregungsmuster zu erlernen. Dabei feuern die neuronalen Netzwerke plötzlich ähnliche Impulse ab, unabhängig davon, ob du das Leid nur beobachtest oder gerade selbst die Erfahrung machst. Den entscheidenden Unterschied macht unsere innere Haltung.
Mit jemandem zu fühlen bedeutet, dass du dich in die Lage der anderen Person versetzt, ohne dich mit ihr zu identifizieren. Diesen Abstand brauchst du unbedingt, denn nur so kannst du für jemanden, der in einer kniffligen Lage steckt, zur echten Unterstützung werden. Wenn du mitfühlst, ohne dir das Leid selbst anzueignen, bleibst du außerdem offen für Lösungen und hast genug Kraft, um aktiv zuzuhören und dem Gegenüber eine starke Schulter zu bieten.
Mitgefühl kann auf den ersten Blick etwas neutraler als das Mitleid wirken, da du nicht so stark mit dem Leidenden verbunden bist. Gleichzeitig kannst du in der Rolle des liebevollen Beobachters auch den nötigen Zuspruch schenken, um die Situation zu entschärfen. Der wichtigste und erste Schritt für dich sollte sein, Akzeptanz zu entwickeln, ganz ohne den Gedanken was für ein Glück, es hat mich nicht getroffen.
Notwendige Akzeptanz kannst du lernen
In dir steckt bestimmt ein Helfersyndrom, wie in anderen Menschen auch. Wenn jemand aus deinem Umfeld in einer misslichen Lage ist, eilst du schnell zur Hilfe und willst die Person von ihrem Leid befreien. Was nobel klingt, kann aber auch ganz eigennützig sein. Schließlich ist es schwer mit anzusehen, wenn es einem lieben Menschen schlecht geht.
Natürlich willst du nicht, dass jemand leidet. Schnell bist du mit Rat und Tat zur Seite, um Auswege und Lösungen zu finden. Wenn es in deinem Leben mal nicht weitergeht, helfen dir weder Floskeln wie “Auch das geht vorüber” oder “Nimm’s nicht so schwer”, noch übermäßiger Tatendrang, das Problem so schnell es geht zu eliminieren. Denn nur mit Akzeptanz kannst du ein Problem wirklich annehmen, statt es zu vermeiden.
Mitgefühl bedeutet weder Flucht nach vorn, noch das Trauern um die Vergangenheit, als es dir noch gut ging. Mitgefühl ist stille Anteilnahme, ohne sofort zu handeln oder das Leid abwenden zuwollen. Mach dir den Unterschied immer wieder bewusst, wenn einem anderen Menschen helfen möchtest. Gleiches gilt auch, wenn du selbst vor einem Problem stehst.
Was würdest du einem guten Freund in seiner Krise raten?
Andere unterstützen zu können, ist eine wundervolle Fähigkeit und wichtig für jede enge Beziehung. Doch auch Mitgefühl dir selbst gegenüber ist essentiell, um dich durch schwierige Zeiten zu tragen. Trotzdem wirkt der Begriff des Selbstmitgefühls auf manche noch etwas fremd. Ist das nicht noch so ein Trick, um das Ich noch weiter aufzublasen? Ganz im Gegenteil. Wenn wir liebevoll mit uns selbst umgehen, lernen wir sowohl Akzeptanz, Empathie und sogar das Verzeihen. Wichtige Fähigkeiten, um gute Beziehungen aufzubauen.
Um Selbstmitgefühl zu üben, kannst du dich austricksen. So kannst du dich zum Beispiel fragen: “Was würde ich in dieser Situation einer guten Freundin sagen?”, oder “Wie würde jetzt mit meiner kleinen Schwester oder mit meinem kleinen Bruder sprechen”? Vermutlich würdest du Verständnis zeigen, dich in die Situation hineinversetzen und die Person daran erinnern, dass Fehler menschlich sind.
Mach dir bewusst, dass du genauso viel Wohlwollen und Nachsicht verdient hast, wie deine Liebsten. Das Selbstmitgefühl zu trainieren, ist also eine gute Übung, um im Ernstfall einem anderen Menschen zur Seite zu stehen. Ohne Leid, aber dafür mit ganz viel Liebe.
Mögest du die Kraft und den Mut entwickeln, Dinge zu ändern, die du ändern kannst. Mögest du die Gelassenheit entwickeln, mit Dingen zu leben, die du nicht ändern kannst. Mögest Du die Weisheit entwickeln, dass Eine vom Anderen zu unterscheiden.